Es scheint, als würden wir mit einem konstanten Strom von Wahrnehmungen, einer Flut von immer lauteren und mitunter noch weit gefährlicheren scheinbar „leisen“ Inhalten, Inputs aller Art, Reizen, Daten und Geschehnissen permanent konfrontiert werden, als gäbe es ein klares Interesse auch nur den Ansatz von Stille – stillness – von uns so gut und lückenlos wie möglich fern zu halten. Ja, selbst in der Musik sind Kompositionen und Konzerte gleichermassen immer mehr und mehr ein steter, konstanter Strom von sound, wo man jede sich bietende Lücke akribisch „zu nutzen“ scheint, um noch schnell etwas ganz Tolles, Wesentliches, künstlerisch extrem Wertvolles und besonders Gefinkeltes reinzupressen. Was dabei immer mehr in Vergessenheit geraten und aus dem Bewusstsein verdrängt worden ist ist der Umstand, dass das meist Wunderbarste und die mit Abstand unschlagbarste sowie beste Alternative in buchstäblich jeder Situation ein Innehalten, eine Pause, kurz: Stille ist.
Einer der von mir sehr geschätzten spirituellen Lehrmeister , Eckhart Tolle, meinte dazu in Sachen Meditationsmusik, dass eigentlich die perfekte Musik dafür die traditionelle Musik der japanischen Shakuhachi Flöte sei, da diese sich meist zwischen Melodiebögen , sound und eben „Pausen“ und Stille hin und her bewegt, und hier man erst eine Chance bekommt, diese akustische Lücke im steten Strom unserer Aufmerksamkeit wirklich bewusst zu spüren und wahrzunehmen. Aber seit diese Musik von gut ausgebildeten und ambitionierten, zumeist jungen Musikern produziert wird, alles mehr oder weniger zu einem einzigen „stream of sound“ geworden ist, ohne Pausen, ohne Innehalten und so gut wie ohne Stille.
Es gibt dazu auch eine empirische Untersuchung, dass jene Fussballer, die bei einem alles entscheidenden Elfmeterschiessen am Ende eines bis dahin unentschiedenen Matches nach dem Freigabe Pfiff des Schiedsrichters sofort drauf losschiessen eine ungleich miserablere Trefferquote haben als jene Spieler, die nach dem Pfiff kurz inne halten, in sich gehen, ein paar Sekunden Stille zulassen und erst dann schiessen.
Meinen Musikstudenten , KünstlerInnen und Bands, mit denen ich arbeite, versuche ich auch immer in ihr Bewusstsein zu bringen, dass jeder Ton nicht nur an einem bestimmten Punkt beginnt, sondern eben auch , was für den musikalischen und extrem spannenden sowie spirituellen Gehalt jedes Musizierens oft noch von weitaus wesentlicher Bedeutung ist, an einem von mir oder dem Komponisten oder uns beiden bestimmten Punkt „aufhört“. Und dass da dann besonders dieser gap, dieser space, dieser Platz der Stille auch genauso wichtig und von immenser Bedeutung ist wie die Länge eines Tones, die eben von einem Anfang UND einem Ende bestimmt wird und ist. Erst dieser Space, diese Fraktion der Stille ergibt zusammen mit dem Punkt, an dem man einem Ton ein bewusstes Ende setzt die sogenannte „Phrasierung“ , die akustische Identität eines jeden Stammes und Volkes auf diesem Planeten, noch klarer und unverwechselbarer als die jeweilige Sprache es je sein könnte. Das reicht vom leichten „Verziehen“ und „Verschlenzen“ des Wiener Walzers bis zu den für westliche Ohren und Herzen oft ungerade, monotone Rhythmen afrikanischer Stämme, das aufpeitschende Treiben kubanischer Tänze, die Tiefe mongolischer Gesänge bis hin zum Atmen der japanischen Shakuhachi Flöte.
Das heisst, „der Ton, der angeblich die Musik macht“ bekommt erst durch die Magie der Pause, durch diese Lücke und durch dieses Fragment der Stille sein wahres Gewicht und seine eigentliche Bestimmung und Identität.
Die unglaubliche Naturgewalt, Kraft und Power von Stille wird mir als mehr als 4 Jahrzehnte praktizierender Konzertmusiker auch immer wieder gewahr und bewusst, wenn es konzertante Situationen gibt, wo vor Minuten noch die Menge lautstark getobt hat und man sich und das Publikum inzwischen behutsam in einen Bereich begleitet hat, „wo man buchstäblich eine Stecknadel fallen gehört hätte“.
Diese Gesetzmässigkeit lässt sich durchaus auch mühelos auf nahezu alle Lebenslagen und Situationen wie die Natur im Allgemeinen , sowie die Natur des Menschen im Besonderen übertragen. Wie sind schlicht und einfach nicht dafür konzipiert und erschaffen, unter Dauer – Input Bombardement zu stehen. Das macht auf Dauer krank, bringt uns immer weiter von unserem wahrhaftigen Kern und der Essenz sowie dem Sinn unserer Existenz, dem schlichten „Sein“ viel zu weit weg, schafft Abhängigkeiten, macht „süchtig“, depressiv, fördert unseren Konsumzwang und Kaufrausch um die kläglich vermisste Lücke mit Waren aller Art, Drogen, Dramen, Panikattacken und leeren Versprechungen zu schliessen – weil es eben nicht unserer Natur entspricht und weil es uns nicht die Lücke einer Chance mehr gibt, die Magie der Stille und das tatsächlich einzige sowie ewige Geschenk des Hier und Jetzt bewusst wahrzunehmen, zu erkennen und zu spüren. denn am Nächsten an dem, wer wir wirklich und wahrhaftig sind, sind wir in dieser Lücke, in der Pause – in der Stille.
pssssssssst….. 😉 euer aX