Es ist einer dieser endlos grauen, nebelverhangenen Novembertage, wo einem die Kälte durch jede noch so kleine Ritze langsam aber sicher reinzukriechen imstande scheint, aber die Luft so unfassbar und spürbar feucht, erfrischend und ohne Zweifel richtig kerngesund ist. Ein Novembertag, wie ich sie früher als Sonnenkind schlicht und einfach schwer bis gar nicht ertragen konnte, aber heute imstande bin, diesen voll zu geniessen und mich förmlich darin zu baden. Obwohl ich heute nicht, wie sonst immer, in die Donau rein gewatet bin. Mein goal ist ja, in diesem vollkommen verrückten Jahr das „in die Donau Eintauchen“ bis einschliesslich Dezember durchzuziehen.

Mich dabei irgendwie von allem Corona BlaBlaBla, allen diesbezüglichen Zweifeln, Befürchtungen, und der Frage, ob es sich nun um Intuition oder Angst handelt, dass ich plötzlich das Gefühl habe, mich für oder gegen etwas entscheiden zu müssen, für oder gegen eine Umarmung mit meiner Liebsten einzutreten, zu argumentieren und dabei wissen, wer da in mir mit wem in mir sich heftigst zu argumentieren bemüht, diesen für mich sehr ungewohnten mindfuck erfahren und schlussendlich damit irgendwie zu Rand kommen zu müssen – mich von all diesem Tratsch, Geplapper und Quatsch in meinem Kopf im heilenden Wasser und in der erfrischenden Kälte der gar nicht soooo kalten Donau, neben meinen täglichen eiskalten Morgenduschen, so etwas wie „rein zu waschen“ und zugleich meinem Immunsystem einen ordentlichen Tritt in den Hintern zu verpassen. Und bis dahin, also bis Dezember, ist es ja nun wirklich nicht mehr weit.

Und so bin ich da jetzt heute unterwegs , gut eingepackt mit meinem Puch Radl im dichten Nebel der Donau entlang in einer von mir nicht wirklich liebsten Zeit des Jahres, wo von Tag zu Tag die Tage rasant kürzer und das Licht gnadenlos weniger zu werden scheint. Wo uns am Ende dieser dunklen Zeiten nur mehr ein Adventkranz, ein mit unzähligen Kerzen erleuchteter Christbaum oder das knisternde Feuer im Kamin bis hin zu den Osterfeuern dann darüber hinwegtrösten können. Wenn ich mich auf irgendeine Weise wie durch ein jährliches Wunder einmal bis zur Wintersonnenwende am 21. Dezember, ein Tag vor dem Geburtstag meines Vaters, irgendwie durch hanteln konnte, beginnt ab dort mit jedem länger und heller werdenden Tag das Licht der Hoffnung und Zuversicht heller und wärmer in mir zu strahlen. Es wird wieder besser und mir geht es wieder richtig gut.

Den Nebel aber liebe ich für seine mystischen, geheimnisvollen und magischen Qualitäten, die ihm in meiner Wahrnehmung innezuwohnen scheinen. Zumindest hält er extrem toll für fantasievolle Fotos her, die einen auf ihre Weise verzaubern können und mich in eine Welt weit jenseits jeder himmelgescheiten Coroana Pressekonferenz zu entführen imstand sind. Alleine dafür bin ich gerade extrem dankbar.
Und ich schicke ein paar dieser , wie mir scheint, mystischen und wunderbaren Fotos von der Donau via sms direkt zu meiner Liebsten, wo auch immer sie gerade sein mag und sie antwortet prompt: „Unglaublich!!! Hier scheint die Sonne.“ Was für eine geniale Bemerkung das ist: Hier scheint die Sonne – ja, hier, bei mir, scheint sie ja auch, nur wahrnehmen kann ich sie gerade ob des dichten Nebels kaum bis gar nicht. Sie, die Sonne scheint ja auch, wenn es hier an der Donau mitten in der Nacht und stockdunkel ist, nur ist da gerade die liebe Mama Erde zwischen uns und es scheint tatsächlich so, als würde sie nicht scheinen. Obwohl sie „immer“ scheint. Seit Milliarden von Jahren. Tag aus, Tag ein, Tag und Nacht, Frühling, Sommer, Herbst und Winter und eben hier, bei mir. Jetzt. Weit über dieser Nebelsuppe, in der ich mit ein paar versprengten Wanderern, einem Entenpärchen und ein paar Möwenschwadronen gerade rum schwimme.

Und als ich wieder kurz stehen bleiben muss, um ein weiteres mystisches Foto zu schiessen, da sehe ich es: Das Feuer im Salamander, keine 20 Zentimeter von meinem Vorderrad entfernt. Regungslos, quasi im Schritt verharrend, aber total aufmerksam und präsent wie es sich für einen Prachtkerl wie diesen zauberhaften Feuersalamander, diesem kleinen, mit knallgelben Feuerpunkten besprühten Drachen einfach gehört. Ruhig, stoisch, ja – fast majestätisch verharrt er da, glasklar in diesem von uns Beiden geteilten, nebelverhangenen Augenblick.

Wen meine ich denn eigentlich mit „mir“, wenn ich sage: „mir“ geht es gut? Und wer ist denn „ich“, der das zu meinen scheint und sich zugleich darüber wundert? Ist es nicht hoch interessant, dass die Sonne immer und ewig „scheint“ und dass uns auch manchmal etwas „dämmert“, dass etwas irgendwie zu sein „scheint“? Beides „scheint“. Es „scheint“ so zu sein. Nur wer entscheidet denn zwischen „Sein“ und „Schein“? Die Vernunft? Unsere konditionierten Muster? unser gelerntes, kognitives Wissen? Eine Formel ? eine Regel? ein Gesetz? ein System? wer weiss eigentlich in mir, wie es „mir“ geht und traut sich das so ohne jeden Zweifel zu sagen, sich gegen alle Zweifel des Geistes und der Persönlichkeit so zweifellos zu behaupten? Wie weiss ich denn, dass die Sonne auch hier bei mir im dichtesten Nebel scheint obwohl ich sie weder sehen noch kaum bis gar nicht spüren kann? Wie geht das, dass ich, ohne das Feuer im Salamander zu sehen, keine 20 cm vor ihm mein Rad aus der vollen Fahrt kommend, anhalte, wo ich mich gerade noch auf ein vollkommen anderes Motiv konzentriert hatte?

All das scheint mir weit jenseits aller denkbaren Gedanken, Systeme, Regeln und Formeln zu scheinen. Das scheint ganz wo anders, aber um so heller und klarer. Weit jenseits jeder Akrobatik, jeder Verführung, jeden Zweifels, jedes mind fucks, jeder „Bewegung im Kopf“, jeder Illusion, jeder Ein – Bildung und Vor – Stellung, jedes gelernten oder geschriebenen Wissens, jedes verstandenen Faktums, jeder kombinierten Einsicht und jeder gelernten Regel eines zweifelnden, Schuld und Sühne, Rache, Wut, Zorn, Verletzlichkeit, Opferdaseins verteilenden Geistes. Wer sagt und entscheidet denn in mir was „gut“ ist, was mir „gut“ tut, was sich „gut“ anfühlt? Wer oder was weiss denn überhaupt was „gut“ ist? Gut für wen? meinen Geist? Meine Gedanken? Mein ego? MeinHerz? Meine Seele? Meine kalten Füsse???

„mir geht „es“ gut – was ist denn dann das „es“? Wenn ich dieser Tage manchmal meine Mutter auf Skype frage, wie „es“ ihr geht, dann antwortet sie oft folgendermassen: „Es geht mir“ . Fantastisch. Es geht mir, also bin ich. Das reicht doch schon mal vollkommen, oder? es geht mir. Punkt.

Wer nimmt denn „wahr“, dass das mind gerade mit mir fuckt? dass meine Gedanken mich quälen? wen quälen sie denn da, wenn ich sage „mich“? wer ist dieses „mich“? Mein Ego? Meine konditionierte Persönlichkeit? oder beobachtet da etwas wesentlich Tieferes, wesentlich fundamentaleres, Wahrhaftigeres, Namen- und Raum- und Zeitloses, nicht er – klär – bares – etwas, auf das man nur hindeuten, hinweisen aber selbst als solches nicht fassen kann. Weder in Worte, noch in Gedanken, noch in Konzepten, noch in Regeln, noch in Formen, noch in Farben, noch in Räumen, noch in Theorien oder Hypothesen. Man kann nur darauf hinweisen, wie man darauf hinweisen kann, dass Augen alles sehen können, nur sich selbst eben nicht. Aber jede und jeder kann sich dessen bewusst – sein und werden.

Lassen wir es für heute einmal „gut sein“. Fragen über Fragen. Nebel und Klarheit. Licht und Dunkel. Denken und Bewusst – Sein. Alles Liebste und Beste, euer Alex
