Heute, vor mehr als 20 inzwischen abgesagten Konzerten zu Hause sitzend, stellen sich mir in Anbetracht der konkreten Situationen folgende Fragen: Ist eine Musikerin noch Musikerin, bin ich noch ein Musiker, wenn sie / er / ich keine Konzerte mehr spielen kann? Wenn alle Konzert Venues, alle Musikclubs geschlossen sind und keine Festivals mehr stattfinden können? Wenn alle Proberäume geschlossen sind und ich weder zu Hause noch bei Freunden üben oder proben darf?

Anscheinend bin ich gerade dabei ein krasses, eigentlich unerträgliches gesellschaftliches, politisches und sozial kulturelles, grobes Missverständnis zu orten. Indem man offensichtlich annimmt, wenn man den Künstlern ein bisschen Geld gibt, dann sollen sie sich nicht beschweren, dann passt das schon. Dann reicht das auf jeden Fall zum Überleben der Kunst. Das selbe oder zumindest Ähnliches scheint für Veranstalter, Konzertbühnen , Theater, Musik Clubs, Festivals, Promoter und Booking Agenturen zu gelten. Wie unbewusst und realitätsfremd kann man denn eigentlich noch sein?

Aber jetzt, an genau diesem Punkt, mich bitte, bitte nicht falsch verstehen: Ich glaube alle Künstlerinnen und alle an einem Konzert, Theater , Museum, Oper, Filmbetrieben und ähnlichen kulturellen Einrichtungen beteiligten Personen wissen mit Sicherheit die ihnen zumeist gewährte finanzielle Zuwendung von Seiten des Staates und anderer Organisationen, genau so wie ich selbst, voll zu schätzen. Da ist sicher jede und jeder dankbar, sofern die Ankündigungen dann auch tatsächlich auf den diversen Konten ankommen, was ja leider nicht immer der Fall ist.
Das ermöglicht, wenn man richtig Glück hat und sich durch den schon oft sehr verwirrenden Ansuchen Dschungel und Hürdenlauf durchgekämpft hat, einem die Wohnung zu behalten, die Strom-, Heizungs- , Telefon- und Internetkosten irgendwie zu schwingen und etwas Essbares auf den Tisch zu bekommen. Alles Gründe, warum sich jemand um sogenannte bulsshit Jobs reisst, meistens sogar mehrere, damit sich das Leben irgendwie finanziell ausgehen kann oder man eben tatsächlich bereit ist, sich von einem bullshit Job auf einen anderen umschulen zu lassen, man i. „Beschäftigung“ bleibt. Damit man in der Lage ist, sich sein Über Leben einigermassen zu finanzieren, konsumieren zu dürfen wie alle anderen Konsumenten auch, zumindest sich existentiell über Wasser zu halten.

Aber deshalb, aus derartigen Gründen bin ich sicher nicht Musiker geworden, abgesehen von der Tatsache, dass ich als Musiker auf diese Welt gekommen bin. Nein, ganz im Gegenteil. Meinen vielen hochtalentierten Studentinnen und Studenten, die ich auf meinen musikalischen Wegen da und dort begegnen durfte, habe ich immer versucht, von Anfang an folgendes in ihr Bewusstsein zu rufen und ihnen mit auf den Weg zu geben: Wenn du Musik alleine des Geldes wegen machst oder machen willst, dann mach bitte sofort etwas vollkommen anderes. Geld ist in meiner Wahrnehmung bei keinem der mir bekannten Künstler und Künstlerinnen je der Grund oder Motivation gewesen, sich mit ihrer Kunst hingebungsvoll auseinanderzusetzen. Was aber sicher nicht heisst, dass es nur arme und vor sich hinvegetierende Künstler gibt oder geben muss.. Ganz und gar nicht.

Aber wenn das die ausschliesslich treibende Kraft wäre, sich kreativ, innovativ und voller Enthusiasmus der Kunst voll hinzugeben und zu widmen, hätte man eben etwas sehr Essentielles, Grundlegendes nicht bis vollkommen falsch verstanden und würde obendrein in der ersten Kurve, der ersten finanziellen Wüste, die es nun immer wieder einmal geben kann, wo es existentiell sehr wohl sehr schnell an das Eingemachte gehen kann, einen riesigen Bauchfleck hinlegen und sich besser gestern als heute um einen bullshit Job anstellen. Oder ein Wirtschaftsstudium beginnen können.
Alle wahrhaftigen Künstlerinnen und Künstler, die ich kennen lernen durfte, waren alle, ausnahmslos, ob erfolgreich, bekannt, genial oder unbekannt, einzig und alleine tagaus tagein aus ihrer Liebe zur Kunst am Start, und aus keinem anderen Grund der Welt. Damit schaffen sie auch so gut wie die meisten bis alle existentiellen Hürden auf einem künstlerischen Lebensweg, weil sie vollen Herzens bei der Sache sind, und sehen das mitunter noch eher als eine Bereicherung für ihr weiteres kreatives Schaffen und Tun.

Die Liebe zur Kunst ist es, die uns Künstler durch unsere Künstlerleben trägt, und nicht das Geld. Das erinnert mich an eine Aussage meiner Mutter, nachdem ich sie mit meiner Liebsten nach dem letzten Lockdown nach Monaten des „sich nicht sehen dürfens“, weil man ja seine Eltern und Grosseltern nicht „umbringen“ darf, schlussendlich nach einem negativen Corona Test besuchen kam: „Das schönste war, als Du mich umarmt hast“.

Ja, auch da ging es um etas sehr Ähnliches, Wahrhaftiges, Ehrliches, Notwendiges, Essentielles.. Nur weil man glaubt, mehr oder weniger smart, erfolgreich oder gefinkelt diverse Krankheiten mit allen legalen bis illegalen Verordnungen von uns fern halten zu können, macht uns das noch lange nicht zu gesunden, glücklichen Menschen. Erst eine menschliche Umarmung macht das. Nähe vor Wegsperren, Schule gehen vor Schule zu sperren. Es ist das Leben selbst , dessen Zulassen und das sich auf einander wirklich einlassen und Nähe zulassen können, welches das Leben erst sinnvoll und lebenswert macht.
Und eben nicht vorrangig Verordnungen und Massregelungen, nur damit die Zahlen stimmen und wieder so schnell und bald wie möglich Umsatz wie früher gemacht werden darf. Keine Verordnung der Welt, keine Virologin, die aufpasst wie ein Haftelmacher, keine Prognose eines Zukunftsforschers, der Experte für Wahrscheinlichkeitsmodelle ist, Kein Pandemie Experte, keine Ärztin und kein Politiker der Welt können über das, was Mensch sein in seiner Essenz ist, bestimmen dürfen. Zuallererst muss Mensch Mensch sein dürfen und können, lieben und rundum gesund leben wollen, was eben nicht nur die Abwesenheit von Krankheit ist, sondern eben auch soziale , wahrhaftige, lebensnotwendige Nähe und Selbstbestimmung als wesentliche Standpfeiler eines gesunden und erfüllten Lebens.

So ist es auch mit den Künstlern und Ihrer bedingungslosen Liebe und Hingabe zu ihrer Kunst. Wenn sie das, was sie lieben und wie die Luft zum Atmen brauchen , nicht mehr sein können und nicht mehr machen dürfen, helfen finanzielle Almosen und Unterstützungen in Wahrheit herzlich wenig bis gar nicht. Deshalb müssen wir uns alle miteinander dafür engagieren und einsetzen, dass es weiter Konzerte, Lesungen, Theater, Ausstellungen, Oper, Festivals, Filmproduktionen nicht nur geben darf, sondern im Sinne unser aller seelischer, geistiger und vollkommener Gesundheit geben müssen wird. Wo Menschen durch die Künstler und die Kunst die wahrhaftige Nähe einer kreativen, künstlerischen Berührung, und damit sich selbst darin wieder wahrnehmen dürfen und können.

kann ich noch Musik produzieren? Ja. Ein Album wie gerade eben? Ja. Mit sehr unorthodoxen, der Situation angepassten Herangehensweisen, die Musiker auf der ganzen Welt verstreut, MP3s und andere Files um den halben Erdball schickend. Kommunikation via skype, E-mail, We transfer, Virtual Glass – eine Art skype für Musikproduzenten. Der Mixer einmal da, einmal dort, einmal in Paris, einmal in Berlin und einmal in Bordeaux. Die Band, dem Universum sei Dank, die Basic Tracks, welche die musikalische Basis dieses Albums bilden, schon so gut wie alle in einem bzw. mehreren Studios aufgenommen und editiert. Irgendwie geht es schon wenn es gehen muss, aber eben nur irgendwie.

Ist ein Priester noch ein Priester , wenn niemand mehr in die Kirche kommt? Ist ein Bauer noch Bauer wenn alle seine Kühe krank geworden sind und sein gesamter Wald dem Borkenkäfer zum Opfer gefallen ist oder sein Hof durch Blitzschlag vollkommen abgebrannt ist? Ist ein Tischler noch Tischler ohne Holz? Ist eine Köchin noch Köchin ohne Küche? Ein Bergsteiger noch Bergsteiger ohne Berg? ein Busfahrer noch Fahrer ohne Bus? Ein Architekt noch Planer ohne Plan? eine Ärztin noch Doktor ohne Patientinnen? Ein Gärtner noch Gärtner ohne Garten? Ein Fischer noch Fischer ohne Fische? Ein Seefahrer noch Seemann ohne Boot? Eine Pilotin noch Pilotin ohne Flugzeug? eine Kindergärtnerin noch Gärtnerin ohne Kinder? Ist ein Politiker noch Politiker , eine Politikerin noch Politikerin auch wenn er oder sie das alles, was es braucht um gewissenhafte und verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen eigentlich offensichtlich nicht und nicht auf die Reihe zu kriegen scheint?
Im Prinzip liessen sich natürlich all diese Fragen mit: JA beantworten, bis auf die letzte. Die hätte wohl jede und jeder noch vor wenigen Jahren ohne Zweifel mit : NEIN beantwortet. Heute sieht das leider vollkommen anders aus. Ausserdem sollte in meinem Verständnis und Bewusstsein des Lebens nicht unerwähnt bleiben, dass all das natürlich lauter Dinge sind, die wir, oft in voller Hingabe, lieben zu tun. Wozu wir uns „berufen“ fühlen, Aber es ist sicher nicht „nur“, wer wir in unserer Essenz „sind“ im Sinne von „Tun“ und „Sein“.

Denn wenn ich, aus welchen Gründen immer, nicht mehr tun darf oder kann, wer ich als Person glaube zu sein oder noch besser, jemand, der ihre oder seine Identität ausschliesslich in seiner „Persönlichkeit“ und im Bewusstsein der eigenen Biographie glaubt finden zu müssen, dann bin ich schlicht und einfach im „Tun“ und meinem Ego gefangen. Wo das weite, von Ängsten, Sorgen, Schuld, Müssen, Sollen, Vergangenheit und einer Illusion von Zukunft vollkommen befreite Land der wahren inneren Freiheit jedes Menschen viel zu oft und lange unentdeckt in der eigentlichen tiefen Essenz des Selbst, dem „Sein“ in der Ewigkeit des „Jetzt“, im Geschenk des Augenblicks und seiner jeweiligen ihm innewohnenden Chancen wohnt. Dort muss nichts getan, bewiesen, erklärt, verstanden, geschaffen, begründet, analysiert, gestaltet, befürchtet, gecoacht, verteidigt, erduldet sonder nur wahr – genommen, erkannt werden.
Dieser uns allen permanent innewohnenden Essenz können wir am besten im Sein in der Natur, in der Stille und in der oft tiefen Berührung genau dort und dorthin durch wahrhaftige Künstlerinnen, Künstler und die Kunst nahe kommen und gewahr werden ❤

Alles Liebste, Euer AleX
Ein Gedanke zu “#46 Über Leben’s Fragen – Fragen zum Leben”