Ich habe mich heute Morgen folgendes zur Liebsten sagen gehört: „Also entweder ich sterbe bald oder es passiert irgend etwas anderes Grossartiges.“ und am Ende jeder meiner digitalen Visitenkarten als Abschluss zu jeder meiner mails steht: „making music happen is what i do, but it is not who i am“ – was soviel heisst wie: „Ich helfe mit, Musik entstehen zu lassen und in diese Welt zu bringen, aber das ist nicht, wer ich bin“. Nun: wer oder was bin ich jetzt? und was soll das Ganze überhaupt mit einem, meinem Musiker da Sein zu tun haben. Nun: aus meiner persönlichen Sicht? Nichts und Alles.

„Nichts“, weil das, und damit meine ich jetzt dezidiert den ersten Satz, in Wahrheit ja grundsätzlich jede und jeder sagen könnte und „Alles“ weil diese Sätze eben aus meinem Munde kommen und ich nun mal mein ganzes Leben mit Leib und Seele Musiker bin, so könnte man das ganz nonchalant und vollkommen unreflektiert hinaus posaunen, obwohl das eben nicht , wie im zweiten Satz klar und deutlich und vollkommen richtig bemerkt, nicht alles ist, wer oder was ich bin, sondern eher das, was ich halt die meiste Zeit so mache und tue, was allerdings auch wieder nur bedingt stimmt. Denn ich bin auch Sohn, Vater, Grossvater, Partner, Freund, Naturfreak mit einem starken Bauern- und einem anderen, ebenso starken Waldmenschen Gen, der meistens nichts mehr liebt als die Stille und das Mensch Sein im Kreise seiner Liebsten.


Zwei Sätze, ein paar Worte aneinander geklebt, mitten aus einem, meinem Musiker da Sein und dem vollen Menschenleben gegriffen. Schnapp. Zum ersten Satz meinte die Liebste als allererstes, dass das ein richtig geiler, erster Satz in einem Buch sein sollte. Meinte Sie: in meinem Buch? Ich weiss es nicht und habe auch nicht weiter nachgefragt. Jedenfalls habe ich diese Anregung im Verbund mit ein paar weiteren, richtig guten Anregungen ihrerseits gerne angenommen und ihn als ersten Satz für diesen Blog verwendet, wohin immer uns dieser noch zu führen imstande sein wird.

Nachdem ich zwischendurch immer wieder an relativ vielen Musik Universitäten in Wien und Graz, dem Berklee College of Music in Boston oder in Sachen Artist Development und A&R Management an der Donau Universität Krems, als freier Lektor für Artist Management und Development und Creative Identity sowie zahlreichen nationalen wie internationalen Workshops immer wieder neben meinen Haupt – Tätigkeiten als „touring, recording , performing und producing musician“ unterrichten durfte, habe ich da wie dort den jeweiligen Studierenden ganz am Anfang immer folgendes an ihre Herzen zu legen versucht: Wenn ihr aus Liebe zur Musik Musikerinnen oder Musiker sein wollt, weil sie eure Seele und euer Herz berührt und eure Leidenschaft dafür brennt und ihr glaubt, ohne sie nicht leben oder sein zu können, dann bitte macht es unbedingt, ohne 1 % Zweifel. Diese Liebe wird euch durch alle Täler, Gebirge, Meere, Schluchten, Wüsten, Engpässe, Herausforderungen, Dschungel, Freudentränen und Hungersnöte eines Musiker da Seins zu bringen wissen. Wollt ihr allerdings „unverschämt reich und weltberühmt“ werden, dann macht bitte lieber gleich etwas vollkommen anderes.

Was ist jetzt mit mir eigentlich los ? mag sich so manche oder mancher denken. Dazu kann ich euch folgendes sagen: Natürlich habe ich nicht vor zu sterben, aber wer hat das schon – zugleich sollten wir uns schon bewusst sein, dass dem immer so sein kann und deshalb das Geschenk dieses, unseres Lebens tagtäglich bewusst, in Freude und Frieden mit sich selbst, mit Freunden, Familie, den Liebsten in Dankbarkeit anzunehmen und zu geniessen.
Manchmal scheint allerdings so gut wie alles still zu stehen, und man hat absolut nicht die leiseste Ahnung, warum. Nichts haut hin, nichts funktioniert, flutscht, fliesst wie es eigentlich könnte und für lange Zeit auch konnte. Es passieren die unglaublichsten Dinge, Dinge, die man so noch nie erleben durfte oder musste, je nachdem und zugleich nehme ich alles irgendwie eher als Zuschauer anstatt als Akteur wahr, und kann nur staunen und mich wundern und sehen, wie all das, was da gerade kam, und ist, wieder vorbeigehen wird wie alles andere das kommt und geht auch.

Und da kam dann eben dieser Satz aus meinem Tiefsten ans Tageslicht. Stille, Stillstand, Nichts haut hin. Kommunikationsloch, Ruhepunkt, Absagen, Verschiebungen, Missverständnisse – aber auch liebevolles Verständnis, Zuhören, einfach Da sein und froh sein, dass ein paar meiner Liebsten so liebevoll da sind. Es kommt etwas Anderes, das seinen Platz braucht, Veränderung, vielleicht stirbt ja in Wahrheit etwas in einem ganz anderen Sinne: alte Lasten = Altlasten, Kram , Zeug, Schatten, der oft über Generationen mitgeschleppt und weitervererbt wird, ohne dass überhaupt noch jemand genau weiss, was und woher diese Energie eigentlich ursprünglich kam, war und / oder ist.
Brauch ich all das? Anscheinend. Hab ich nach all dem gefragt? nein. Will mir das Leben gerade etwas zeigen? Mit Sicherheit. Und jetzt? Was soll all das mit dem Musiker da Sein zu tun haben? Nichts und Alles.

Viele meinen ja ich hätte mich irgendwann dafür entschieden, Musiker zu werden bzw. zu Sein, denn ich bin meines besten Wissens schon als Musiker, als die Musik Liebender und Musikant auf die Welt gekommen, zumindest mit einer extrem starken Neigung in diese Richtung. Zuerst spielt man mal Akkordeon und dann landet man unweigerlich in Musikschulen, wo man für Schlagzeug angeblich zu talentiert ist, studiert in einer klassischen Warteschleife als Kunstschüler Fagott, bis einen die Trommeln und der Rhythmus und der Beat fest umschlungen halten, vollkommen durchdringen und einfach Teil von mir geworden sind.

Man kämpft sich durch sehr schlimme, traumatische Erfahrungen mit angeblich sehr guten Schlagzeugern, die aber in Wahrheit extrem beschissene Lehrende sind, wodurch ich mir dieses Movie namens „Whiplash“ bis zum heutigen Tag erspart habe, denn das hatte ich live, im echten Leben. Diese zerstörerische und egoistisch kontrollierende und einen jeder Würde beraubende und jede Kreativität im Keim erstickende Energie brauch ich so sicher nie mehr, auch nicht im Kino. So nicht – in diesem meinem Leben will ich an dieser Art, Menschen zu unterrichten, zu unterwerfen, zu verbiegen und zu richten im Rahmen meiner Möglichkeiten etwas Wesentliches mit verändern helfen. Menschen, Kinder, Studierende eben nicht zu ver- und beurteilen und sie stattdessen auf zu richten, zu ermutigen, in ihnen das Feuer ihrer Begeisterung am Brennen halten.

Und da finden wir uns dann plötzlich, an den diversen als Kreativ- und Kunsttempel getarnten Universitäten und Colleges, wo man in erster Linie lernt, eine „professionelle Musikerin oder Musiker“ zu „werden“. Zumindest wie sich die dort zum Grossteil Lehrenden „professionelle Musiker“ vorstellen, was sie oft selbst grossteils nicht sind, sonst wären sie ja auf Tour mit den Philharmonikern, oder sängen an der Mailänder Skala oder wären auf Tour mit Lady Gaga, Alicia Keys und Billie Eilish, oder mit Lenny Kravitz, Eminem oder Esperanza Spalding im Studio..
Üben, Üben, Üben, Tag und Nacht, um nur bloss keine Fehler machen zu dürfen, der Drang nach schneller, höher, stärker, den Sieg über die Technik, das Beherrschen des Instruments oder der Stimme, absurde Wettbewerbe wie im Spitzensport, wer ist „besser“, wer ist „schneller“, wer kommt höher rauf, Competition, Siegen, Verlieren – was eigentlich? wer bekommt die meisten Gigs, in wie vielen Bands oder Orchestern spielt man gleichzeitig, in wie vielen Stilen fühlt man sich „zu Hause“, wer hat perfekt pitch, also ein „absolutes Gehör“, was mit Sicherheit viele Busfahrer und Konditoreimeister oder Stewardessen auch haben, ohne es zu wissen, was und wen hat man schon alles voll ausgecheckt, wie perfekt kann man jede noch so vertrackte Situation meistern – um was zu erreichen oder wen zu beeindrucken??? Musik, Magie und Muse gefangen als Geiseln im Wettbewerbskäfig und Leistungszeitalter – alles in den derzeitigen Trainingsprogrammen an den Kaderschmieden für sogenannte „professionelle Musiker“ gang und gäbe.

Was kommt da bei raus? grossteils Bodenpersonal für diverse Orchester, von ihren technischen Skills besessene Bands und Ensembles, die man jedoch meistens nur innerhalb der Uni und College Mauern kennt, weil es dort eben in erster Linie um das „Beeindrucken“ geht und Berühren kaum bis gar nicht stattfindet, jede Menge frustrierte, zumeist erfolglose, vollkommen unentspannte „Profis“ mit zum Teil wahnsinnig überzogenen Ansprüchen an sich selbst und zugleich riesigen Ängsten vor Bewertungen, Beurteilungen, dem Angstschweiss vor dem unvermeidbaren „Fehler machen“, Aufwachen aus den eigenen Lieblingsalbträumen, auf der krampfhaften Suche nach der goldenen Chance – wofür eigentlich? nach dem heiss ersehnten Erfolg, was auch immer das für die und den einzelnen bedeuten mag? Charts stürmen, Opernengagements, Welttourneen, Wettbewerbe gewinnen, goldene Schallplatten, Streaming Weltmeister, Welthits????

Zum allergrössten Teil allerdings werden die meisten dieser Kader Geschmiedeten frustrierte , von den eigenen und den versprochenen Träumen und Ansprüchen enttäuschte Musiklehrer, das Lieblings Businessmodell aller Musikuniversitäten heute. Und diese lassen wir dann ungebremst auf unsere Kinder los – und diese wiederum sind dann oft bereits nach der ersten Stunde fertig mit Musik, nachdem man Ihnen von Anfang an das Konzept von „richtig und falsch“, was man ja nicht anders gelernt hatte, erfolgreich reingedroschen hat.

Anstatt Freude zu wecken, anstatt dem ewigen „richtig und falsch“ einmal einfach nur ein „anders“ leben und zu lassen, sie im wahrsten, ursprünglichen Sinn des Wortes einfach „spielen lassen“ – ausprobieren anstatt zu proben, mit den Tönen, mit den Geräuschen, mit den Beatz, mit den Sounds, mit den Pausen, mit Geschichten, mit Tanzen und Singen, mit den Gefühlen und Farben, laut und leise, hoch und tief und….. Stille, hören. in sich rein. aus sich raus. zu – hören und schweigen. Schauen, was da aus einem raus oder sich durch einen hindurch ausdrücken, manifestieren will, zulassen. sein lassen, geschehen lassen. miteinander entstehen lassen. Dem Spirit zwei Schritte hinten nachgehen und sich wundern, wo der überall hingeht und hin- oder herkommt.

Das ist Musik. Nicht nur an der dünnen, schimmernden, beeindruckenden Oberfläche, sondern in ihrer spirituellen, heilenden, berührenden und energetischen Tiefe. Die Freude am Klang, am Rhythmus, am Song, an der kreativen Schöpfung , der Frequenz, der Energie, die niemandem ge – hört – im Konzertsaal und in der Natur, in der Kirche oder Moschee oder auf dem Festival, im kleinen Club und auf der Opernbühne. Die Kunst, Menschen zutiefst zu berühren, sie in dieses wundervolle Energiefeld mitnehmen, um sie ahnen zu lassen, wie verbunden wir in Wahrheit alle miteinander sind, in der Freude schöner Götterfunken oder der Stille berührt zu werden und sich selbst und einander wieder spüren zu dürfen.

Nicht sich selbst oder wen auch immer glauben beeindrucken oder etwas beweisen zu müssen. Ich persönlich spiele schon seit Jahrzehnten nicht mehr für die Jazzpolizei, die von sich glauben, alles besser zu wissen und über jede und jeden ihr Urteil fällen zu können, was in Wahrheit meistens nur nur ihrer eigenen Unsicherheit entspringt. Und diese professionellen Jazzpolizisten gibt es überall, massenhaft, trainiert und verzogen in allen heiligen Musik – Lehrtempeln dieser Welt, in Bands, teilweise im sogenannten Fach – Publikum, überall. Eine Minderheit grossteils vollkommen unbekannter und irrelevanter Experten für musikalische Perfektion und Beeindruckung.

Da gibt es dann noch die „extrem erfolgreichen Musiker“ die oft gar nicht studierte Musikerinnen oder Musiker waren oder sind? die etwas anderes zu bieten haben, und sei es nur eine gigantische Marketingmaschine im Rücken. Oder die gerade auf der täglich sich ändernden Trendwelle daher gebraust kommen .

Und dann gibt es noch diese meine Lieblings Künstler Brut, die ich wahrhaftige Künstler nennen möchte. Die all diesen oft in Egos und Unsicherheiten wohnenden Perfektionsbullshit vollkommen transzendiert haben und die deshalb beliebt, bekannt und begehrt sind, weil Sie tatsächlich vornehmlich Menschen zu Berühren imstande sind, weil sie sich vor ihren Performances vollkommen leer zu machen wissen, von Erwartungen und von dem Drang, sich selbst oder andere beeindrucken zu müssen, befreit von ihren Egos, damit durch sie fliessen und entstehen darf und kann, was entstehen und eben Sein will.
Und viele von denen sind meistens auch als Menschen vollkommen geerdet, uneitel, bescheiden und liebevoll, sich selbst, dem Leben und allen Lebewesen gegenüber. Danke, dass es euch gibt. Und danke, für die heilende, spirituell und menschlich berührende und bewegende Energie und Frequenz der Musik. Dafür lohnt es sich, zu leben. Zu berühren und um berührt zu werden.

Wieder einmal ist es, wie so oft auf der imaginären Zeitachse 11:11
Das Konzert mit der Jon Sass Destiny Band beim Jazzfestival Saafelden am 22. August wird übrigens ohne mich stattfinden
